Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft
Bezahlte Anzeigen von Parteien oder Politiker:innen werden trotz expliziter Hinweise wie „bezahlt/gesponsert von“ von Nutzer:innen oft nicht als Werbung wahrgenommen. Dabei hätten Kennzeichnungen das Potenzial, zu mehr Transparenz beizutragen – wenn sie entsprechend gestaltet wären. Auf Basis der Ergebnisse der neuen Studie „Transparenz-Check“ der medienanstalten muss die aktuelle Praxis der Online-Kennzeichnungen bei politischer Werbung als mangelhaft bewertet werden. Aus den Ergebnissen wird aber gleichzeitig die Relevanz von Kennzeichnungen deutlich – und es werden Ansatzpunkte zur Nachbesserung aufgezeigt.
Gesetzliche Kennzeichnungspflicht für bezahlte politische Anzeigen
Politische Online-Werbung findet nicht im regulierungsfreien Raum statt, denn hier gelten klare Regeln: In Onlineangeboten, die dem Hörfunk oder dem Fernsehen ähnlich sind, ist politische Werbung grundsätzlich verboten. In allen anderen Telemedien, beispielsweise in Sozialen Netzwerken, ist politische Werbung zulässig, sofern sie entsprechend gekennzeichnet ist und auf den/die Absender:in deutlich hingewiesen wird.
In Sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook werden Anzeigen grundsätzlich mit dem Hinweis „gesponsert“ versehen. Neben bezahlten Anzeigen werben politische Kandidat:innen und Parteien aber auch mit unbezahlten Posts auf ihren eigenen Kanälen und Seiten für ihre Positionen. Die Unterscheidung von bezahlten und unbezahlten politisch-werblichen Posts ist oft schwierig. Denn in vielen Fällen haben beide Typen die gleiche Anmutung und identische Inhalte.
Im Fokus der Studie stand daher die Frage, ob Nutzer:innen von Sozialen Medien bezahlte Anzeigen als solche erkennen und welche Rolle die Kennzeichnung bei der Einordnung als Werbung spielt. Über 3.500 Personen ab 16 Jahren wurden dafür jeweils mehrere Beispiele bezahlter und entsprechend gekennzeichneter Anzeigen sowie (unbezahlter) politisch-werblicher Posts gezeigt. Zu jedem Beispiel sollten die Befragten angeben, worum es sich hierbei ihrer Meinung nach handelt: um Werbung, Meinung, journalistische oder staatliche Information. Im Nachgang sollten die Bereiche auf dem Post markiert werden, die für die Einordnung relevant waren.
Online-Hinweise machen keinen Unterschied – zumindest au den ersten Blick
Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass bezahlte und gekennzeichnete Werbung von vielen Nutzer:innen schlichtweg nicht erkannt wird: 46 Prozent von ihnen ordnen solche Anzeigen entweder anders ein – also z. B. als Meinung, journalistische oder staatliche Information – oder können sich nicht entscheiden. Weniger als 10 Prozent der Befragten waren imstande, alle angezeigten bezahlten Posts als Werbung einzuordnen.
Wie wenig Wirkung die Kennzeichnung auf den ersten Blick entfaltet, verdeutlicht der direkte Vergleich von gekennzeichneter bezahlter Werbung und unbezahlten Posts mit identischem Bild und Inhalt. So haben 51 Prozent der Befragten eine Anzeige eines Landesverbands der FDP mit dem Bild eines populären Bundestagsabgeordneten als Werbung eingeordnet. Denselben, aber unbezahlten Post ohne Kennzeichnung hielten mit 54 Prozent der Befragten jedoch sogar etwas mehr für Werbung. Ganz ähnlich verhält es sich bei einem Beispiel der Bundesvereinigung „Freie Wähler“: Bezahlter und unbezahlter Post (mit gleichem Inhalt) wurden von jeweils 41 bzw. 40 Prozent als Werbung eingeordnet. Beide Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass sich die Nutzer:innen von Sozialen Medien in erster Linie am Inhalt eines Posts und nicht am Hinweis-Label für eine Bezahlung orientieren, wenn sie die kommunikative Absicht des/der Absender:in bewerten.
Entscheidend für eine (korrekte) Zuordnung als bezahlte Werbung scheinen vielmehr der Bekanntheitsgrad der Person bzw. der Partei und das Format der Anzeige zu sein. Anzeigen mit einem bekannten Gesicht, die im Format eines Wahlplakats mit klarer Botschaft gestaltet sind, wurden von gut der Hälfte als Werbung eingeordnet. Die bezahlten Posts von Politiker:innen, die weniger präsent in der Öffentlichkeit sind, (z. B. die Anzeigen von Robin Mesarosch und Christina Stumpp, vgl. Abbildung 2), die zudem nicht an klassische Wahlkampfplakate erinnern, wurden dagegen nur von 24 bzw. 14 Prozent der Befragten als Werbung zugeordnet – und das trotz Kennzeichnung als „gesponserter Post“.
Die Anzeigen von weniger prominenten politischen Politiker:innen wurden auffällig oft als persönliche Meinung wahrgenommen. Das ist zwar nicht grundsätzlich falsch, aber offenbar ist in diesen Fällen nicht hinreichend klar, dass es sich um „bezahlte Meinung“ und damit Werbung handelt. Dass es an vielen Stellen an Transparenz mangelt, belegen zudem weitere Ergebnisse der Studie: So wurde eine bezahlte Anzeige der CSU, die einen Soldaten in Uniform zeigt, von knapp einem Viertel der Befragten für staatliche Information gehalten. Eine ebenfalls bezahlte Anzeige von DIE LINKE, deren Gestaltung an Social-Media-Posts von Nachrichtenmedien angelehnt ist, ordneten 27 Prozent der Befragten sogar als unabhängige, journalistische Information ein.
Der zweite Blick zeigt: Wenn politische Werbung als solche erkannt wird, liegt es an der Kennzeichnung
Die Erkenntnis, dass Online-Kennzeichnungen kaum hilfreich beim Erkennen bezahlter, politischer Werbung sind, ist zunächst ernüchternd. Mit Blick auf die Bereiche auf den Posts, die von den Befragten als relevant für deren Wahrnehmung als politische Werbung markiert wurden, zeigt sich aber: Mit 75 Prozent der Personen, die alle Beispiele bezahlter politischer Werbung als solche erkannt haben, war die Kennzeichnung „gesponsert von“ das mit Abstand am häufigsten markierte Kriterium – und damit relevanter als der/die Absender:in, Beschreibungstext oder Headline/Slogan. Kennzeichnungen haben also durchaus das Potenzial, Orientierung zu bieten und für mehr Transparenz in Sozialen Netzwerken beizutragen – vorausgesetzt, sie werden von den Nutzer:innen wahrgenommen.
Personen mit geringem Medienwissen haben die größten Schwierigkeiten beim Erkennen von politischer Online-Werbung
Die Ergebnisse zeigen zudem, dass das Erkennen bezahlter politischer Werbung bestimmten Gruppen in der Bevölkerung schwerer fällt als anderen. Ein besonders deutlicher Zusammenhang zeigt sich beim individuellen Wissen über das Mediensystem und das Internet. Das „Medienwissen“ der Befragten wurde mit einem Quiz gemessen, bei dem insgesamt 14 Aussagen aus den Bereichen Journalismus, Online-Werbung, Soziale Netzwerke und Suchmaschinen als falsch oder richtig eingeordnet werden sollten. Mit der Studie wird nachgewiesen, dass Personen mit niedrigem Medienwissen mit Abstand die größten Schwierigkeiten haben, die bezahlten und gekennzeichneten politischen Posts als solche zu erkennen: Über drei Viertel von ihnen haben keines der Beispiele als Werbung eingeordnet. Auch aus der Gruppe derer mit mäßigem Wissen war die Mehrheit nicht in der Lage, politische Werbung als solche zu erkennen. Im Sinne eines verbesserten Verbraucherschutzes insbesondere von weniger medienkompetenten Nutzer:innen müssen daher leichter erkennbare Kennzeichnungen diskutiert werden.
Klare und gut sichtbare Kennzeichnungen dringend erforderlich
Die aktuelle Kennzeichnungspraxis trägt kaum dazu bei, dass bezahlte Werbung für politische Positionen und Personen von den Wähler:innen als solche erkannt wird. Dies birgt mögliche gesellschaftliche Risiken, wenn Nutzer:innen nicht nachvollziehen können, wann es sich konkret um bezahlte werbliche Inhalte – insbesondere im Vergleich zu journalistischer Information – handelt. In ihrer jetzigen Form erfüllen Kennzeichnungen für politische Anzeigen auf Sozialen Medien offensichtlich nicht die Funktion, die ihnen seitens des Gesetzgebers im Medienstaatsvertrag zugewiesen wurde.
Der Transparenz-Check der medienanstalten zeigt zugleich, dass Kennzeichnungen durchaus großes Potenzial haben, zu einer besseren Erkennbarkeit von politischer Werbung und zu mehr Transparenz beizutragen. Denn für diejenigen, die besonders treffsicher in ihren Zuordnungen waren, war die Kennzeichnung sogar und gerade bei Anzeigen von wenig bekannten Akteur:innen und Parteien das ausschlaggebende Kriterium. Eine prominentere Gestaltung und für alle leicht verständliche, weil gelernte Bezeichnungen sind daher dringend nötig. Hierzu können die Empfehlungen der Landesmedienanstalten für kommerzielle Werbung zu Rate gezogen werden: Anstelle von Sponsoring oder gesponserten Inhalten sollte Werbung grundsätzliche als „Anzeige“ oder als „Werbung“ gekennzeichnet werden.
Dr. Gergana Baeva betreute bis April 2022 als Referentin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) verschiedene Forschungsprojekte, insbesondere zu Fragen der digitalen Medienvielfalt, der Verbreitung von Desinformation online und der Informations- und Nachrichtenkompetenzen in der Bevölkerung.
Regina Deck ist stellvertretende Bereichsleiterin Technik, Medienwirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Sie vertritt die Landeszentrale als Mitglied in der agma und betreut hauptverantwortlich die Forschungsaktivitäten der BLM. Zuvor war sie bei verschiedenen Instituten in der Medienforschung tätig, zuletzt als Abteilungsleiterin bei Kantar. Regina Deck studierte Wirtschaftsgeografie und Politische Wissenschaften an der Universität Heidelberg.
Über die Studie
Informationen zur Corona-Pandemie, aber auch zu politischen und gesellschaftlichen Themen beziehen die jungen Zielgruppen fast nur noch online. Doch wo und wie informieren sich digitale Natives genau? Antworten gibt die Studie „Aktuelle Informationsportfolios“ der Medienanstalten. Sie wurde vom Markt- und Sozialforschungsinstitut IFAK im Auftrag der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) durchgeführt. Kern ist ein Medientagebuch, das die Erfassung einzelner Informationsvorgänge und die anschließende Bewertung ermöglicht.