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    Politische Online-Werbung: Transparenz ist die Basis aufgeklärter politischer Diskurse

    kommunikationswissenschaftlicher Gastartikel

    Politische Werbung hat das Ziel, das Denken und Handeln von potenziellen Wähler:innen im Sinne der Absender:innen zu beeinflussen. Im Unterschied zu politischer PR oder der Wahlkampfberichterstattung der Medien haben die werbenden politischen Akteure dabei die „vollständige Kontrolle von Gestaltung und Inhalt” der Botschaften und ihrer Platzierung (Holtz-Bacha 2020, S. 2). In traditionellen, analogen Medienumgebungen sind Nutzer:innen einigermaßen geübt darin, Werbung mit ihren persuasiven Absichten von anderen Kommunikationsbotschaften zu unterscheiden. Mehr als die Hälfte der Nutzer:innen bewertet z. B. klassische Produktwerbung im Fernsehen als „auffällig“; rund ein Drittel gibt an, täglich oder fast täglich Plakatwerbung oder Werbung an Anschlagsäulen wahrzunehmen.

    Politische Werbung findet zunehmend online statt

    Auch aus Online- und Social-Media-Umgebungen ist Werbung nicht mehr wegzudenken. Der Anteil an kommerzieller sowie auch politischer Online-Werbung hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Diese Entwicklung spiegelt sich exemplarisch in den Online-Werbeausgaben der Parteien im Bundestagswahlkampf 2021: Parteiübergreifend haben die politischen Akteure rund 4,7 Millionen Euro für Anzeigen auf YouTube, Google, Instagram und Facebook ausgegeben.

    Solche bezahlte Anzeigen sind aber nur ein kleiner Teil der werblichen Botschaften, mit denen Nutzer:innen in Online- und Social-Media-Umgebungen konfrontiert werden. Hinzu kommen die vielen Posts von politischen Institutionen, Parteien und Politiker:innen, die diese über ihre eigenen Kanäle und Seiten massenhaft verbreiten – wie wir ebenfalls im letzten Bundestagswahlkampf beobachten konnten. Je nach Aufmachung werden diese Botschaften aber als „Eigenwerbung“ oder „politische Meinungsäußerung“ bewertet, fallen dadurch nicht unter die aktuelle Regulierungspraxis politischer Werbung und müssen dann nicht von den Absender:innen als werblich – als „Sponsored Ads“ – gekennzeichnet werden. Denn anders als bei politischer Fernsehwerbung oder bei politischen Plakaten im öffentlichen Raum lassen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für politische Online-Werbung den Absender:innen viel Freiraum. Das liegt natürlich auch an den Herausforderungen, die mit einer strengeren Regulierung jenseits bezahlter Posts einhergehen. In Demokratien ist die Freiheit der politischen Kommunikation und Meinungsäußerung ein hohes, extrem schützenswertes Gut, die Regulierung politischer Botschaften daher ein sensibles Thema für die Medienpolitik und ihre Institutionen.

    Möglichkeiten zur reichweitenstarken Verbreitung

    In der Praxis haben politische Akteur:innen in Online- und Social-Media-Umgebungen die Möglichkeit der reichweitenstarken Verbreitung unbezahlter, ungefilterter und ungekennzeichneter Werbung. Dass dies einer der zentralen Vorteile der Kommunikation online ist, ist politischen Akteur:innen natürlich vollkommen klar: Am Beispiel der AfD oder auch der Linken konnten wir z. B. sehr gut beobachten, wie Parteien und ihre Politiker:innen ganz gezielt auf Netzwerk- und Multiplikatoreneffekte setzen, um ihre werblichen politischen Botschaften – unter Umgehung der Kennzeichnungspflicht – massenhaft im Netz zu verteilen. Obwohl beide Parteien dadurch im Bundestagswahlkampf in den Sozialen Medien sehr präsent waren, haben sie ihre Online-Werbekampagnen entsprechend „nur“ 280.000 (AfD) bzw. 140.000 Euro (Linke) gekostet. Den Bonus, bei dieser Strategie auf Kennzeichnungen der persuasiven Botschaften weitgehend verzichten zu können, gab es quasi kostenlos dazu. Da die unbezahlten „Meinungsäußerungen“ oftmals ähnlich aufgebaut sind wie typische Online-Werbeanzeigen, ist für Nutzer:innen meist aber nur bedingt erkennbar, ob es sich nun im konkreten Fall um eine politische Informationsbotschaft, eine persönliche Meinungsäußerung oder um bezahlte Werbung handelt (De Gregorio & Goanta, 2022). Eine solche Intransparenz steht dem demokratischen Ideal eines aufgeklärten politischen Diskurses in einer informierten (Online-)Öffentlichkeit diametral entgegen.

    Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung

    Für Nutzer:innen ist diese Situation aus mehreren Gründen als kritisch zu bewerten, wie Studien der Medienwirkungsforschung zeigen:

    Erstens wissen wir aus der Werbewirkungsforschung, dass Werbung stärkere Effekte auf ihre Nutzer:innen hat, wenn sie diese nicht als Werbung einstufen. Denn wenn Rezipient:innen Werbung auch als Werbung identifizieren, gehen sie reflektierter mit den Inhalten um, in gewisser Weise aktiviert sich dadurch ein „kognitiver Schutzschild“. Inhalten aus werblichen Botschaften wird zum Beispiel eine geringe Glaubwürdigkeit attestiert; sie aktivieren auch kritischere Einstellungen den Absender:innen gegenüber (Eisend et al., 2020). Erkennen die Nutzer:innen persuasive Intentionen eines Kommunikators/einer Kommunikatorin hingegen nicht, erfolgt nicht nur die Auseinandersetzung mit der Botschaft auf Seiten des einzelnen Empfängers/der einzelnen Empfängerin weniger reflektiert. Vielmehr zeigen sich auch unerwünschte Netzwerkeffekte: Wenn Nutzer:innen Persuasionsbotschaften politischer Akteur:innen nicht wahrnehmen, teilen sie sie u. U. unbedarft weiter und vergrößern damit ihr Einflusspotenzial – häufig im falschen Glauben, es handele sich um individuelle Meinungsäußerungen von Privatpersonen, die ihrer persönlichen Meinung auf lustige, pointierte oder optisch ansprechende Weise Ausdruck verleihen wollten.

    Zweitens haben die meisten Nutzer:innen in Online- und Social-Media-Umgebungen noch keine so starken Routinen und damit verbundenen Reflexions- und Abwehrmechanismen im Umgang mit Werbung entwickelt: In einer Umfrage zum Erkennen von Online-Werbung in Deutschland 2018 geben nur 13 Prozent der befragten Nutzer:innen an, Werbung, die online eingeblendet wird, bewusst als solche wahrzunehmen (Statista). Dabei führt die einfache Kennzeichnung von Inhalten auf Social Media als Werbung nicht unbedingt zu einer kritische(re)n Auseinandersetzung: Selbst wenn Posts mit Zusätzen wie „Ads” oder „Sponsored Ads” markiert sind, sind viele Nutzer:innen nicht dazu in der Lage, die Werbebotschaften von redaktionellen Inhalten zu unterscheiden (Evans et al., 2017). Auch der aktuelle „Transparenz-Check“ der medienanstalten zeigt, dass Nutzer:innen Probleme haben, als Werbung gekennzeichnete Posts online als solche zu identifizieren: Fast die Hälfte der Nutzer:innen hält bezahlte, gekennzeichnete politische Online-Werbung für informative, nicht persuasive politische Botschaften, die etwa von Journalist:innen oder staatlichen Institutionen stammen. Die Ergebnisse belegen gleichzeitig, dass eine Kennzeichnungen durchaus Orientierung bieten können – wenn diese von Nutzer:innen wahrgenommen werden. Denn in den Fällen, in denen die Posts von den Nutzer:innen überhaupt als Werbung identifiziert wurden, lag es in der Regel an der Kennzeichnung als Werbung. Es muss also auch die Art der Kennzeichnung überdacht werden: Online-Inhalte werden typischerweise eher flüchtig rezipiert, oft beiläufig, oft außer Haus und auf mobilen Endgeräten. Nutzer:innen haben oft begrenzte Zeitbudgets und sind nur mäßig in die Themen involviert – all dies begünstigt eine eher heuristische Informationsverarbeitung, bei der eine Kennzeichnung erst dann auffällt, wenn sie sehr viel deutlicher „ins Auge springt“.

    Befunde der politischen Kommunikationsforschung legen zudem nahe, dass die unzureichenden Transparenz- und Regulierungsvorgaben nicht nur für die individuellen Nutzer:innen problematisch sind, sondern auch dysfunktionale Effekte für das Klima des politischen Diskurses und damit die Demokratie insgesamt haben können: Schon in früheren Online-Wahlkämpfen zeigte sich, dass populistische Parteien und One-Issue-Parteien ihre homogene Anhängerschaft online durch gezielte Attacken politischer Konkurrent:innen mobilisieren und hinter sich vereinen (Jacobs & Spierings, 2019; Hameleers & Schmuck, 2017; Hameleers et al., 2018). Analysen der Kampagnenkommunikation belegen dabei, dass Parteien am Rande des ideologischen Spektrums häufiger auf Negative Campaigning mit unsachlichen und diffamierenden Angriffsbotschaften setzen (Ude & Wendorf, 2018).

    Ein neues, damit verbundenes Phänomen, das wir auch im letzten Bundestagswahlkampf verstärkt beobachtet haben, sind „Dark Ads” – also werbliche Posts, die mit Hilfe von Microtargeting personalisiert an eine genau vordefinierte und meist homogene Zielgruppe ausgespielt werden. Die Charakterisierung als „dark” adressiert dabei nicht nur die negative und stark polarisierende Tonalität der Botschaften, sondern auch die Tatsache, dass die Posts nur an einen engen Anhängerkreis versendet werden und damit für die breite Öffentlichkeit „im Dunkeln” bleiben (Holtz-Bacha, 2020). Solche „Dark Ads” erschweren es auf Social Media nicht nur, nachzuvollziehen, wer welche Form der Werbung einer politischen Partei zu sehen bekommt; sie tragen vermutlich auch dazu bei, dass der Ton politischer Kampagnen im Netz schärfer und aggressiver wird. Denn bei der Verbreitung von „Dark Ads” müssen politische Akteure weniger befürchten, dass sie Wähler:innen mit weniger extremen Meinungen abschrecken (Holtz-Bacha, 2020). 

    Selbstverpflichtungen können medienpolitische Regulierung nicht ersetzen

    Die gegenwärtige Praxis zeigt dabei, dass Ansätze der Selbstverpflichtungen durch Parteien und Plattformen eine medienpolitische Regulierung nicht ersetzen können: Im Gegensatz zu Facebook, Instagram, Tiktok und YouTube war Twitter Vorreiter damit, jegliche Tweets unmissverständlich zu verbieten, mit deren Inhalten Kandidat:innen, politische Parteien, gewählte oder ernannte Regierungsbeamte oder Wahlen beworben werden. Dass Twitter diese Selbstregulierung massiv kommuniziert hat, hat sicher auch dazu beigetragen, das Vertrauen der Nutzer:innen zu sichern. Aber wer kontrolliert die Einhaltung einer solchen Selbstregulierung? Und was passiert bei Regelverstößen? In Deutschland wurde ein Nutzer zufällig darauf aufmerksam, dass der rechte Bundespräsidentschaftskandidat Max Otte vor der Wahl die Reichweite seines #Bundespräsidenten-Tweets offenbar mit Sponsoring verstärkte – was entsprechend der Twitter-Richtlinien eigentlich streng untersagt ist. Der Tweet generierte fast 15.000 Likes, mehr als zehn Mal so viel wie die Mehrzahl der sonstigen Tweets von Ottes Twitter-Account. Ob dies wirklich ein versehentlicher Einzelfall war – oder ob politische Akteure entgegen der Nutzungsregeln auf Twitter noch weitere Tweets mit politischen Inhalten gesponsert haben, lässt sich von außen nicht beurteilen.

    All dies sind Argumente dafür, dass wir unbedingt eine klare und transparentere Regulierung von politischer Online-Werbung in Online- und Social-Media-Umgebungen brauchen, die mit einer deutlich sichtbaren Kennzeichnung entsprechender Inhalte einhergeht. Denn wenn weder Bürger:innen noch Wissenschaftler:innen noch Aufsichtsbehörden transparent erkennen und nachvollziehen können, wer, wann und wie politische Werbung geschaltet hat, mit welchen Inhalten und an wen, sind einem Missbrauch der entstehenden Freiräume Tür und Tor geöffnet. Die Freiheit der politischen Meinungsäußerung ist nicht nur durch eine zu strikte, sondern auch durch eine unzureichende Regulierung in Gefahr.

    Referenzen

    Eisend, M., van Reijmersdal, E. A., Boerman, S. C., & Tarrahi, F. (2020). A meta-analysis of the effects of disclosing sponsored content. Journal of Advertising, 49(3), 344-366.

    Evans, N. J., Phua, J., Lim, J. & Jun, H. (2017). Disclosing Instagram influencer advertising: The effects of disclosure language on advertising recognition, attitudes, and behavioral intent. Journal of interactive advertising, 17(2), 138-149.

    De Gregorio, G., & Goanta, C. (2022). The Influencer Republic: Monetizing Political Speech on Social Media. German Law Journal23(2), 204-225.

    Hameleers, M., Bos, L., Fawzi, N., Reinemann, C., Andreadis, I., Corbu, N., Schemer, C., Schulz, A., Shaefer, T., Aalberg, T., Axelsson, S., Berganza, R., Cremonesi, C., Dahlberg, S., Vreese, C. H. de, Hess, A., Kartsounidou, E., Kasprowicz, D., Matthes, J., Weiss-Yaniv, N. (2018). Start Spreading the News: A Comparative Experiment on the Effects of Populist Communication on Political Engagement in Sixteen European Countries. The international journal of press/politics, 23(4), 517–538.

    Hameleers, M. & Schmuck, D. (2017). It’s us against them: a comparative experiment on the effects of populist messages communicated via social media. Information, Communication & Society, 20(9), 1425–1444.

    Holtz-Bacha, C. (2020). Politische Werbung und politische PR. In I. Borucki, Kleinen-von Königslöw, K., Marschall, S., & Zerback, Th. (Hrsg.), Handbuch Politisch Kommunikation (S. 1-13). Springer.

    Jacobs, K. & Spierings, N. (2019). A populist paradise? Examining populists’ Twitter adoption and use. Information, Communication & Society, 22(12), 1681–1696.

    Ude, C., Wendorf, A. (2018). Extremes Negative Campaigning. In: Schlipphak, B. (Hrsg.) Professionalisierte politische Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. S. 175-196).

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    04.10.2022Stephanie Geise

    Prof. Dr. habil. Stephanie Geise ist Expertin für Politische Kommunikation und Medienwirkungen. Sie ist Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaft am ZeMKI der Universität Bremen und leitet hier u. a. das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Forschungsprojekt «Remixing Multimodal News Reception», das kognitive und emotionale Wirkungen der Rezeption multimodaler politischer Nachrichten untersucht.

    Hinweis zum Gastartikel

    Es handelt sich bei diesem Artikel um eine kommunikationswissenschaftliche Aus­einandersetzung mit verschiedenen Formen von politischer Online-Werbung. Der Definition liegt keine faktische rechtliche Kategorisierung zugrunde. Vielmehr liegt der Schwerpunkt auf der faktisch werblichen Wirkung und ihren möglichen Konsequenzen für die politische Meinungsbildung.